Felix Reda saß von 2014 bis 2019 für die Piraten im Europäischen Parlament und verantwortet heute bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt „control c“ zu Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit. Dieser Beitrag erschien zuerst in seiner Kolumne auf heise.de und wurde dort unter der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.
Die Gründung der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) hat die Debatte um Netzsperren neu angefacht. An die Stelle einer grundrechtlichen Prüfung, bei der unabhängige Gerichte vor der Einrichtung von DNS-Sperren zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen abwägen, in welchem Ausmaß dabei auch der Zugang zu legalen Inhalten behindert wird, tritt eine private Absprache zwischen Verbänden der Unterhaltungsindustrie und allen großen deutschen Internetprovidern. Auskünfte des Bundeskartellamts wecken nun neue Zweifel an der Rechtmäßigkeit des privaten Gremiums. Viel deutet darauf hin, dass die CUII gegen das Wettbewerbsrecht verstößt.
Viel ist seit Gründung der CUII über die Gefahr des Aufbaus einer Sperrinfrastruktur geschrieben worden, denn Netzsperren sind vor allem als beliebtes Instrument autokratischer Regime bekannt. Die Normalisierung dieses Instruments weckt unweigerlich Begehrlichkeiten für eine immer weiter reichende Einschränkung des Informationsflusses im Netz.
Auch für die Intransparenz ihrer Entscheidungsfindung steht die CUII in der Kritik.
Ein Instrument der Selbstjustiz
Ein bislang wenig beleuchteter Aspekt ist hingegen die Frage, ob der Zusammenschluss zwischen Internetprovidern und Unterhaltungsindustrie-Verbänden zum Zwecke der Netzsperren mit den Regeln für einen fairen Wettbewerb vereinbar ist. Ähnliche Versuche der privatisierten Rechtsdurchsetzung durch die Urheberrechtslobby hatte das Bundeskartellamt in der Vergangenheit nämlich unterbunden.
Bereits zwischen 2013 und 2015 hatte das Bundeskartellamt einen Vorgänger der CUII, die „Hinweisstelle Online-Werbeschaltung und Urheberrecht“ (HOWU), wegen kartellrechtlicher Bedenken gestoppt. Damals planten mitunter dieselben Verbände, die heute an der CUII beteiligt sind – etwa der Bundesverband Musikindustrie und der Börsenverein des deutschen Buchhandels – eine Kooperation mit der Werbewirtschaft, um Werbung auf illegalen Streamingportalen zu unterbinden. Darin vermuteten die Wettbewerbshüter ein Instrument der Selbstjustiz und untersagten den Start des Projekts, wie das Handelsblatt seinerseits berichtete.
Auch CUII trifft auf kartellrechtliche Bedenken
Es verwundert deshalb, dass das Bundeskartellamt die CUII offenbar sehr viel weniger kritisch sieht als den Vorgänger HOWU, obwohl die Einschnitte in den Wettbewerb durch Netzsperren potentiell deutlich gravierender sind als durch Einschränkungen bei der Werbung – für technisch weniger versierte Kund:innen sind die Webseiten, die auf Empfehlung der CUII mit DNS-Sperren versehen werden, schließlich überhaupt nicht mehr erreichbar.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Internetprovider längst selbst mit urheberrechtlich geschützten Inhalten handeln und eigene Streamingangebote im Paket mit dem Internetzugang verkaufen – beispielsweise Magenta TV der Telekom. Mithin stehen nicht nur die an der CUII beteiligten Verbände der Film- und Musikindustrie im direkten Wettbewerb zu den Streamingportalen, die durch die CUII gesperrt werden, sondern auch die Internetprovider selbst.
Nun mag man einwenden, dass die CUII ja laut Selbstverpflichtung lediglich „strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten“ sperre und solche illegalen Angebote nicht wettbewerbsrechtlich geschützt seien. Der zentrale Konstruktionsfehler an der CUII ist jedoch, dass nicht ein unabhängiges Gericht oder eine Behörde darüber entscheidet, welche Webseiten als illegal einzustufen sind, sondern die CUII selbst. Doch die CUII ist mit Wettbewerbern eben dieser Streamingportale besetzt – ein klarer Interessenskonflikt.
Europäischer Gerichtshof pocht auf Rechtsstaatsprinzip
Der Europäische Gerichtshof hat in der Vergangenheit bereits klargestellt, dass eine solche Konstellation wie die der CUII wettbewerbswidrig ist. In dem Fall „Slowakische Banken“ ging es darum, dass drei Banken die Geschäftsbeziehungen zu einem Finanzdienstleistungs-Unternehmen beendeten und sich darauf beriefen, dass das Unternehmen illegal auf dem Markt tätig sei. Laut dem obersten Gericht „obliegt es den Behörden und nicht privaten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen“, da „die Anwendung gesetzlicher Bestimmungen komplexe Beurteilungen erfordern kann, die nicht zum Aufgabenbereich dieser privaten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen gehören“.
Der Europäische Gerichtshof kam deshalb zu dem Schluss, dass auch dann ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt, wenn sich Unternehmen gegen einen Wettbewerber zusammentun, der angeblich illegal auf dem Markt tätig ist. Angesichts der teils jahrelangen Gerichtsverfahren zur Klärung urheberrechtlicher Fragen liegt es auf der Hand, dass die Beantwortung der Frage, wann eine Netzsperre gegen Urheberrechtsverletzungen verhältnismäßig ist, erst recht nicht von Unternehmen beantwortet werden kann, die im direkten Wettbewerb zu den betroffenen Streamingwebseiten stehen.
Bundeskartellamt behält sich zukünftiges Verbot der CUII vor
Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage und seiner kritischen Haltung gegen private Urheberrechtsdurchsetzung in der Vergangenheit ist es hoch verwunderlich, dass das Bundeskartellamt die Gründung der CUII nicht von vornherein unterbunden hat. Die Pressemitteilung der Wettbewerbsbehörde anlässlich des Starts der CUII kann den Eindruck erwecken, das Bundeskartellamt habe der CUII uneingeschränkt grünes Licht gegeben.
Auf Nachfrage äußert sich das Bundeskartellamt jedoch deutlich kritischer zur CUII als erwartet. Die Behörde betont, dass die Beteiligten der CUII „keine förmliche Entscheidung des Bundeskartellamts begehrten und somit ein späteres Aufgreifen in weitem Umfang möglich bleibt“. Das bedeutet, dass das Bundeskartellamt die CUII nicht für wettbewerbsrechtlich zulässig erklärt hat, sondern die Einrichtung des Gremiums zunächst nur im Rahmen seines Ermessens toleriert.
Dabei sieht die Wettbewerbsbehörde in der privaten Rechtsdurchsetzung durch die CUII durchaus „die Gefahr einer Überdehnung und Sperrung auch rechtmäßiger Inhalte“, der sie durch Schutzvorkehrungen bei der Gestaltung des Gremiums vorbeugen wollte. Die ausdrückliche Beschränkung auf „klare Verletzungen des Urheberrechts“ im Verhaltenskodex der CUII, die Möglichkeit betroffener Webseitenbetreiber:innen, im CUII-Verfahren Stellung zu nehmen, und die zumindest teilweise Transparenz der Arbeitsweise der CUII sind auf Interventionen des Bundeskartellamts zurückzuführen: „Die ursprüngliche Fassung des Verhaltenskodex enthielt eine breit gefasste Vertraulichkeitsklausel“, heißt es seitens der Behörde.
Neben dem Wettbewerb zwischen Streamingdiensten sieht das Bundeskartellamt auch den Wettbewerb zwischen verschiedenen Internetzugangsanbietern aus Sicht der Verbraucher:innen berührt: „Da alle relevanten Anbieter beteiligt sind, können Kunden nicht mehr zu einem anderen Anbieter ausweichen.“
Kein Einlenken ohne öffentlichen Aufschrei
Wenig überzeugend ist die Argumentation des Bundeskartellamts, warum die CUII trotz der eindeutigen EuGH-Rechtsprechung zunächst an den Start gehen könne. Die CUII sei nur bedingt mit dem Fall Slowakische Banken vergleichbar, da Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzungen grundsätzlich gesetzlich vorgesehen seien und die private Rechtsdurchsetzung hier durch „Sicherungsmaßnahmen“ begleitet sei, „die eine überschießende und damit wettbewerbsbeschränkende Sperrpraxis vermeiden.“ In diesem Kontext verweist das Kartellamt auf die Änderungen am CUII-Verfahren, die die Behörde durchgesetzt hat, und auf die Beteiligung der Bundesnetzagentur.
Laut eigener Aussage bewertet die Bundesnetzagentur aber überhaupt keine Inhalte der betroffenen Webseiten und nimmt lediglich formlos zu den Sperrempfehlungen der CUII Stellung. Eine behördliche Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Angebots liegt hier also nicht vor. Insofern ist davon auszugehen, dass die CUII im Sinne der EuGH-Rechtsprechung wettbewerbswidrig ist, da sich Unternehmen gegen direkte Wettbewerber verbünden und dies mit deren angeblicher Rechtswidrigkeit begründen, ohne dass diese Einschätzung durch ein Gericht oder eine Behörde getroffen wurde.
Seine Laissez Faire-Einstellung kann das Bundeskartellamt jedoch jederzeit beenden: „Wettbewerbliche Gefahren wurden vor allen Dingen in der mittelfristigen Entwicklung gesehen, sollte die Praxis der Clearingstelle sich von den eindeutig urheberrechtsverletzenden Angeboten wegbewegen und es zu Sperren ‚im Graubereich‘ kommen. In diesem Fall ist jedoch mit Beschwerden und öffentlicher Aufmerksamkeit zu rechnen, so dass ein Aufgreifen durch das Bundeskartellamt ohne weiteres möglich wäre.“ Das Bundeskartellamt will die CUII erst verbieten, wenn es bereits zu Grundrechtseinschränkungen gekommen ist. Dabei setzt die Behörde explizit auf Hinweise und Beschwerden seitens der Öffentlichkeit.
Doch die Zivilgesellschaft muss sich nicht darauf beschränken, die Sperrempfehlungen der CUII genau im Auge zu behalten und bei Sperrung legaler Inhalte Beschwerde beim Bundeskartellamt einzulegen. Klageberechtigt nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sind alle von einer Wettbewerbsbeschränkung Betroffenen, also unter anderem auch die Verbraucher:innen, die bei einem der beteiligten Internetprovider einen Vertrag abgeschlossen haben. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, bei der ich das Projekt control © betreue, wird deshalb die Rechtmäßigkeit der CUII eingehend prüfen.
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